Das Bundesverfassungsschutzgesetz ermächtigt das Bundesamt für Verfassungsschutz, Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung anzuwenden. Auch die Gründung und Unterhaltung von Tarnorganisationen fällt mit hierunter. Der sogenannte „Bundesservice Telekommunikation“ war mehrere Jahre lang im Behördenwegweiser des Bundes als angebliche Bundesbehörde aufgeführt.
Die IT-Netzaktivistin Lilith W. ist zahlreichen öffentlich zugänglichen Hinweisen zum sogenannten „Bundesservice Telekommunikation“ nachgegangen. Sie hat den Ablauf ihrer Ermittlungen chronologisch dokumentiert.1 Dabei ist sie zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bundesservice Telekommunikation eine vollständige Tarnorganisation des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ist.
Hierfür sprechen folgende Indizien:
- Die Hausverwaltung, über welche das Dienstgebäude an den vermeintlichen Bundesservice Telekommunikation in der Heidelberger Straße in Berlin-Treptow vermietet wird, hat auf ihrer Webseite angegeben, das einzige in Frage kommende Gewerbeobjekt an ein „Bundesministerium“ zu vermieten.
- Ausweislich der Angaben in der RIPE-Datenbank führen die IP-Adressen des Internetanschlusses an der Adresse des Bundesservice Telekommunikation in der Heidelberger Straße 63/64 in Berlin tatsächlich zu dem Bundesministerium des Innern.
- An den Briefkästen und Klingeln an der genannten Adresse befindet sich ebenfalls ein Adress- und Klingelschild des Bundesministeriums des Innern (BMI). In Berlin-Treptow gibt es jedoch keine offizielle Niederlassung des BMI.
- Die in der RIPE-Datenbank angegebenen Arten der Email-Adresse, welche der offiziellen Anschrift des Bundesservice Telekommunikation zugeordnet sind, weisen eine Parallele zu einer weiteren mutmaßlichen Email-Adresse des BfV auf.
- Eine Postsendung, die mit einem Sender versehen war und an das „BMI Köln“ adressiert wurde, ist unmittelbar in den Räumlichkeiten des BfV zugestellt worden.
Auffallend ist, dass diese Erkenntnis allein mittels öffentlich zugänglicher Informationen zugänglich gewesen ist. Es bedurfte zum Gewinn der entsprechenden Erkenntnisse weder besonderer technischer Ausrüstung noch der Quelle durch einen Informanten.
Auf dem Webauftritt des Verzeichnisses der Bundesbehörden stand in der Beschreibung zu dem Bundesservice Telekommunikation unter anderem folgendes:
„Die Behörde ist Dienstleister des Bundes. Sie nimmt verschiedene Aufgaben ausschließlich für die Bundesministerien und ihre Geschäftsbereiche wahr. Dazu gehören Fachaufgaben, Querschnitts- und Unterstützungsaufgaben sowie Modernisierungshilfen. Mit ihren breit gefächerten Fachaufgaben setzt die BST die Vorgaben der Ressorts administrativ um. Die BST übernimmt im Bereich der Telekommunikation eine "Scharnierfunktion". Ziel ist es, die komplexen Arbeitsaufläufe effizienter zu gestalten und mit einer weitreichenden Bündelung eine Kostenersparnis zu erzielen. (…)“.2
Ich finde diese Beschreibung deshalb so bemerkenswert, weil sie einerseits so auffällig nichtssagend ist und andererseits die Begriffe „Telekommunikation“ im Namen der angeblichen Behörde sowie „Scharnierfunktion“ in der Aufgabenbeschreibung zumindest für mich als Menschen, der in der DDR aufgewachsen ist, nicht gerade zur Tarnung einer Geheimdiensttätigkeit beitragen können.
Die Verkettung derartiger Auffälligkeiten bei der Verschleierung des wahren Charakters einer geheimdienstlichen Tarnorganisation würde mich in einem schlecht entwickelten Dritte-Welt-Land nicht überraschen. Bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz, welches allein im Jahr 2021 auf einen Haushaltsetat von über 476 Millionen Euro zurückgreifen kann, würde ich einen derartigen geheimdienstlichen Dilettantismus jedoch als bemerkenswert betrachten.3
Für mich als Innenpolitiker war diese Verkettung von Umständen Anlass genug, der Bundesregierung einige Fragen zu stellen. So wollte ich in Erfahrung bringen, ob der Bundesservice Telekommunikation tatsächlich eine Tarnorganisation einer der Bundesregierung unterstehenden Behörde sei und wenn ja, welcher. Als Antwort erhielt ich die Verweisung auf eine andere Anfrageerwiderung, die zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht veröffentlicht war.4 In der Antwort, auf die die Bundesregierung verwiesen hat, teilt sie mit, dass es eine „öffentliche Stelle“ namens „Bundesservice Telekommunikation“ nicht gebe. Allerdings könne die Frage nicht offen beantwortet werden. Die Einstufung der Antwort als VS (Anm.: Verschlusssache) sei erforderlich, da sie Informationen erhalte, die im Zusammenhang mit der Arbeitsweise und Methodik des Bundesamtes für Verfassungsschutz stünden. Es handle sich hier um den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Dazu gehören demnach auch die Legendierung von Personen und Objekten.5
Man könnte meinen, dass die Verweigerung einer offenen Antwort eine Frage selten so offen beantwortet hat.
Wer nun aber annimmt, dass dieses eklatante Versagen von Deutschlands Verfassungsschützern dazu geeignet ist, die Kompetenz des Verfassungsschutzes als Ganzes in Frage zu stellen, kann sich von der amtierenden Bundesregierung beruhigen lassen. Auf meine Nachfrage an diese, ob das Aufdecken der genannten Erkenntnisse zum Bundesservice Telekommunikation durch eine 26-Jährige mittels öffentlich zugänglicher Quellen dazu führt, dass die Bundesregierung hieraus Schlussfolgerungen in Bezug auf die fachliche Kompetenz des Bundesamtes für Verfassungsschutz zieht, hat das Bundesministerium des Innern klar verneint. Vielmehr wirke demnach das Bundesamt für Verfassungsschutz „mit hoher fachlicher Kompetenz“ daran mit, die Menschen in Deutschland, die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder vor den Bedrohungen durch Extremismus und fremde Mächte wirksam zu schützen. Der benannte Sachverhalt ändere hieran nichts.6
Ob Sie als Bürger dieses uneingeschränkte Vertrauen der Regierung in die hohe fachliche Kompetenz des Bundesamtes für Verfassungsschutz teilen, überlasse ich selbstverständlich vollumfänglich Ihnen.
Ihr Steffen Janich
Quellen:
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https://web.archive.org/web/20220115064635/https:/webcache.googleusercontent.com/search?q=cache%3A94OHsKmD1GwJ%3Ahttps%3A%2F%2Fservice.bund.de%2FContent%2FDE%2FDEBehoerden%2FB%2FBST%2FBundesservice-Telekommunikation.html+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de
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Bundeshaushalt 2021, Einzelplan 06, Kapitel 0626, abrufbar unter: https://www.bundeshaushalt.de/fileadmin/de.bundeshaushalt/content_de/dokumente/2021/soll/epl06.pdf S. 223 ff.
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Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Steffen Janich vom 10. März 2022, Arbeitsnummer 2/497
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Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Aufgaben und Arbeit des Bundesservice Telekommunikation“, BT-Drs.: 20/929
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Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Steffen Janich vom 10. März 2022, Arbeitsnummer 2/495